Hat das Telefon noch Zukunft?

von Horst Westphal

Als das Telefon erfunden wurde und ein Jahrzehnt danach fast jeder seinen Telefonanschluss von der Post erhalten hatte, waren das geradezu paradiesische Verhältnisse. Jeden konnte man anrufen, jede Behörde, jedes Wirtschaftsunternehmen, sogar die Bahn. So waren Probleme schnell gelöst, Wissenslücken geschlossen, Wünsche erfüllt.

Heute ist das anders. Die Jüngeren besitzen oft keinen Telefonanschluss mehr, sie telefonieren mit ihrem Smartphone. Die Nummer steht nicht im Telefonbuch.

Viele ältere Menschen haben meist noch ihre alte Sprechverbindung. Aber die Behörden, große Firmen und viele Institutionen betrachten heute die Telefonanrufe nur noch als lästige Störung und meist schützen sie sich dann und installierten einen ausgeklügelten Schutzwall.

Ein Musterbeispiel ist eine Firma für Blutzucker-Messgeräte, auf die viele Diabetiker angewiesen sind. Sie hat zwar sogar eine sogenannte Hotline, die mit 0800 beginnt, doch wer dort anruft, muss sich mit viel Geduld wappnen.

Das meiste macht ein Automat. Bei Anruf meldet er sich mit einer sehr langatmigen und ausführlichen Erklärung über den Datenschutz.  Man halte sich an die Bestimmungen. Drücken sie die Taste 1, wenn sie darüber mehr erfahren wollen, heißt es. Wenn man erlaubt, das das Gespräch zu Schulungszwecken aufgezeichnet wird, soll man die Taste 1 drücken. Ansonsten soll man 2 drücken.

All das ist zeitraubend und überflüssig. Die Anrufer sind bereits Kunden und haben ihre Daten mit der Abgabe des Rezeptes offengelegt.

Möchte man wissen, wohin ein Rezept zu schicken ist, soll man wieder die Taste 1 drücken.

Dann sagt der Automat: Drücken sie die Taste 2, wenn sie Fragen zur Lieferung haben. Drücken sie die Taste 3, wenn sie technische Hilfen zu ihrem Gerät benötigen. Und endlich kommt der Schluss des telefonischen Albtraums: Benötigen sie Hilfe zu anderen Produkten, drücken sie die Taste 4. Ob man danach einen lebendigen Gesprächspartner bekommt, ist Glückssache.

Viel besser sieht es bei meiner Arztpraxis auch nicht aus. Die Praxis meldet sich: Sie benötigen ein Wiederholungsrezept? Dann benutzen sie bitte die Nummer des Rezeptanrufbeantworters. Die Nummer wird genannt. Abschließend wird man ermahnt, einmal im Quartal seine Versichertenkarte vorzulegen. Und ein Hinweis darf nicht fehlen: Man könne auch eine E-Mail schicken. Auch hier wird die Adresse vorgelesen. Dann wartet man längere Zeit auf einen lebendigen Gesprächspartner. Musik wird eingespielt.  Danach heißt es, alle Mitarbeiter seien beschäftigt, man solle es später noch einmal versuchen, oder das Gespräch endet plötzlich mit dem Besetztzeichen.

Viele Institutionen beschränken sich im Internet darauf, unter Kontakt nur auf ein Textfenster hinzuweisen, in dem man sein Anliegen beschreiben soll. Die Bundesministerien hatten die Idee, alle Anfragen auf die Rubrik Bürgerkommunikation zu konzentrieren. Eine Berliner Firma richtete ihre Hotline so ein, dass man als Anrufer der englischen Sprache mächtig sein muss.

Will man mit der Bahn verreisen, ist es nicht möglich das Reisezentrum im Bahnhof anzurufen. Nein, man muss hinfahren, ganz gleich, wie weit es ist. Doch angekommen wartet auf uns eine Enttäuschung: Die günstigen Sparpreise für den Fernverkehr gibt es neuerdings nur noch, wenn man eine E-Mail-Adresse und einen Drucker besitzt. Die Fahrkarten heißen jetzt Online-Ticket.

Sie werden nicht mehr ausgehändigt, sondern über das Internet zugesandt und müssen selbst ausgedruckt werden. Auch die Bahncard wird nur per E-Mail vergeben.

Meine Tochter beobachtete einen alten Rentner, der eine Bahncard erwerben wollte, Er bekam sie nicht, weil er keine E-Mail-Adresse angegeben konnte.

Auf diese Weise sind viele Bürgerinnen und Bürger, die keinen PC mit Drucker besitzen und bedienen können, vom Bezug der Sparangebote ausgeschlossen.

Nachtrag: Wohl aufgrund vieler Proteste ist die Bahn etwas zurückgerudert. Wer ausdrücklich darauf besteht, kann seine Fahrkarte wieder als Ausdruck direkt erhalten. Doch die Mitarbeiter der Reisezentren sind skeptisch.  Bald wird es wieder eingestellt, meinen sie.

Horst Westphal