Der Campus Galli

von Beate Braun

Vorlage für den Campus Galli ist der St. Gallener Klosterplan aus der Zeit um 820 n.Chr. Gezeichnet wurde er von den Mönchen auf der Insel Reichenau, die ihn den befreundeten St. Gallener Mönchen schenkten. In die Tat umgesetzt wurde der Plan damals aber nicht. Der St. Gallener Klosterplan ist der einzige Bauplan, der aus dem frühen Mittelalter erhalten ist. Dargestellt werden etwa 50 Gebäude in ihrer Lage, ihrer Größe und ihrer Funktion. Der Zeichner des Plans stellte die Anordnung der Gebäude dar, wie es ihm für ein größeres Kloster nach der Regel des heiligen Benedikts ideal erschien.

Der Klosterplan (Foto Herbert Leiprecht)

Der Klosterplan besteht aus fünf zusammengenähten Pergamentblättern. Über DANN-Analysen haben Wissenschaftler festgestellt, dass das Pergament aus der Haut von Schafen hergestellt wurde. Zusammen haben diese fünf Pergamentblätter eine Größe von 112 cm x 77,5 cm.

Die Idee, den Plan in die Tat umzusetzen, hatte bereits in den 1960er Jahren der Journalist Bert Geurten. Eine Unterstützerin fand er in der Schweizerin Venera Scondo. Beide gründeten 2012 den Verein „Karolingische Klosterstadt“, der Träger des Projekts ist. Die Suche nach einem Bauplatz war mühsam. Der Bodenseeraum, für den der Platz gedacht war, schied aus finanziellen und baulichen Gründen aus. Schließlich fand man in Meßkirch einen idealen Platz. Die Stadt unterstützt das Projekt auch finanziell. Hauptsächlich wird es jedoch durch Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Spenden finanziert.

Unsere Führerin erläutert uns Dachaufbau und Herstellung der Schindeln (Foto Beate Braun)

Gebaut wird mit Werkstoffen und Werkzeugen, die den Menschen im 9. Jahrhundert zur Verfügung standen. Wissenschaftler und Handwerker tauschen dabei ihr Wissen aus. Rund 50 Festangestellte arbeiten auf der Baustelle. Sie sägen, hämmern, schnitzen, schmieden, färben und spinnen Wolle, hacken und pflanzen. Außerdem bietet der Verein eine freiwillige und zeitlich begrenzte Mitarbeit für Leute an, die sich für Geschichte oder alte Handwerkstechnik interessieren oder einfach der Hektik des 21. Jahrhunderts entfliehen wollen. 

Am Eingang empfing uns unsere Gästeführerin; und da sie mehr als 30 Minuten verspätet war, machten wir uns gleich auf ins Gelände, wo sie uns die vorgenannten Details zu dem Klosterplan erklärte.

Als nächstes kamen wir zu zwei kleinen Häusern, die die ersten Gebäude auf dem Klostergelände waren. Wir betrachteten die Balken und Schindeln, alles aus dicken Baumstämmen herausgehauen. Auch die Handwerker müssen ihr praktisches Wissen immer wieder ausweiten. Ein Dach hat man beispielsweise wieder komplett abdecken müssen, weil die Holznägel, mit denen die Schindeln befestigt waren, von unten eingeschlagen worden waren. Nach einiger Zeit machte sich die Schwerkraft bemerkbar, die Nägel rutschten heraus, die Schindeln lösten sich. Die Nägel werden jetzt von oben ins Holz gesteckt. Die Latten liegen dicht an dicht in drei Schichten übereinander.

Die Große Scheune (Foto Beate Braun)
Die Scheune von innen (Foto Beate Braun)











Als erstes Holzgebäude des St. Galler Klosterplans wurde die Kornscheune umgesetzt. Nach langem Warten aufgrund von Statik-Problemen erfolgte im Juni 2019 die langersehnte Baugenehmigung.

Bis 2019 wurden die Baumaterialien hergestellt und der Aufbau durchgeführt. Die Scheune dient der Lagerung von Stroh aus der eigenen Landwirtschaft und ist mit einer Fläche von 11 mal 21 Metern das bislang größte Gebäude auf dem Campus. Es wirkt mit seinem weit überhängenden Dach aus Roggenstroh sehr dominant.

Der Paradiesgarten (Foto Norbert Rückgauer)

Danach kamen wir zu einem Friedhof und Obstgarten mit einem Holzkreuz, Paradiesgarten genannt. Der Garten wurde 2021 fertiggestellt und besitzt eine Einfriedung mit Torbogen aus Stein, die der Erprobung von mittelalterlichem Mörtel diente.

2014 wurde mit dem Bau einer Holzkirche begonnen, die 2018 um einen Glockenturm mit einer vor Ort gegossenen Glocke ergänzt wurde. Die Kirche ist das erste größere Bauwerk auf dem Gelände, an dem erstmals die alten Baumaterialien und Bautechniken entwickelt, angewendet und erprobt werden konnten.

Kirche von außen (Foto Beate Braun)
Blick ins Innere der Kirche (Foto Beate Braun)



















An einem großen Platz, auf dem riesige Steine und daneben Baumstämme auf einem Stapel lagen, verabschiedete sich unsere Gästeführerin.

Lagerstätte für rohe und bearbeitete Baumstämme (Foto Norbert Rückgauer)

Zu sehen waren noch die Steinmetz-Werkstatt sowie die Holzbearbeitung für die Balken. Mit Äxten bearbeiteten sie dicke Baumstämme. In einer Schindelwerkstatt wurden Holzstücke zurechtgesägt und mit einem massiven Hammer, dessen Kopf aus dick aufgewickelter Rinderhaut bestand, bearbeitet; nach wenigen gezielte Schlägen fiel die Schindel ab, nur wenige Zentimeter dick. Anschließend sahen wir noch die Weberwerkstätten, wo auch Wolle gesponnen wurde sowie die Färber-Werkstätten.

Die Weberwerkstätten (Foto Herbert Leiprecht)

Um 17 Uhr nahmen wir den Bus zum Bahnhof Sigmaringen. Dort hätten wir 12 Minuten Zeit zum Umsteigen gehabt, aber als wir aus dem Bus ausstiegen, fuhr unser Zug nach Ulm gerade aus dem Bahnsteig.

Das gab uns die Möglichkeit, in der Bahnhofsgaststätte den Tag gemütlich mit Essen und Getränken ausklingen zu lassen, bevor wir den Zug nach Ulm bestiegen.

Kurz vor 20 Uhr erreichten wir Ulm. Ein ereignisreicher, interessanter und informativer Tag war zu Ende.