Ziemlich beste Freunde – Hans Thuar und August Macke

Am 29.07.2021 besucht ViLE-Süd mit 8 Teilnehmerinnen (9 waren erlaubt und angemeldet) die Sonderausstellung im Edwin-Scharff-Museum in Neu-Ulm.

Die Führerin, Charlotte Thon, die ein Wissenschaftliches Volontariat im Museum macht, zeigt die Bilder in chronologischer Reihenfolge und spricht über die Freundschaft der beiden bis zu August Mackes Tod im Jahre 1914 und der Freundschaft zwischen den Familien Thuar und Macke, wobei 1937 die Tochter von Hans Thuar, Gisela, und der Sohn von August Macke, Wolfgang, heiraten. Vor der Eröffnung der Ausstellung hat sich der Enkel der beiden Künstler, Til Macke, selbst nicht künstlerisch tätig, die Ausstellung angeschaut und war begeistert.

Hans Thuar ist 9 und August Macke 10 Jahre alt, als sie sich als Nachbarskinder in Köln anfreunden. Sie begeistern sich beide für die japanischen Holzschnitte, die Vater Thuar in seiner Grafiksammlung verwahrt. Mit 11 Jahren erleidet Hans Thuar einen schweren Unfall, bei dem er beide Beine verliert.

Im Krankenhaus will er sich nicht behandeln lassen. „Wie habe ich die Ärzte gehasst, die sich um meine Genesung bemühten“, schreibt Hans Thuar im Rückblick.

Die über ein halbes Jahr fast täglichen Besuche von August Macke im Krankenhaus, seine Witze, gepaart mit anschaulichen Erzählungen und Karikaturenzeichnungen geben seinem Freund den Lebensmut zurück. 

Yuka Masuko, eine Japanerin, die in der Kunsthochschule Halle Kommunikationsdesign studierte, hat anlässlich der Ausstellung eine grafische Kurzgeschichte der Freundschaft zwischen Hans Thuar und August Macke entwickelt. Basis waren die 1936 aufgeschriebenen Erinnerungen von Hans Thuar, in dem er seinem Schwiegersohn Wolfgang Macke die Freundschaft mit dessen Vater und die gemeinsamen Kindheits- und Jugenderinnerungen in Köln und Bonn beschreibt. Sie verwendet Zitate aus Briefen, die August Macke an seinen Freund Hans Thuar geschrieben hat. Von letzterem sind keine Briefe überliefert. Die Briefe von August Macke wurden von seiner Frau Elisabeth zur Verfügung gestellt.

Grafische Kurzgeschichte der Freundschaft zwischen Hans Thuar und August Macke an der gelben Wand
(Foto: Karin Hunsinger)

Hier sind die Portraits und Selbstportraits von August Macke und Hans Thuar zu sehen.

Jugendbilder von den beiden gibt es leider nicht.

Raum mit den Portraits von August Macke und Hans Thuar (Foto: Beate Braun)

August Macke (1903): Portrait von Hans Thuar (aus Wikipedia, gemeinfrei)

Hans Thuar: Frühes Selbstportrait um 1908-09 (Foto: Axel Hartmann Fotografie, Köln )
© Museum August Macke Haus, Dauerleihgabe aus Privatbesitz

Der Freundschaft tut auch der Wegzug der Familie Macke nach Bonn keinen Abbruch. Das gemeinsame Zeichnen und Malen erweckt bei beiden den Wunsch, Künstler zu werden. Doch das akademische Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie befriedigt sie nicht.

Die Freunde neigen zur farbkräftigen Stimmungsmalerei, die Macke auf seinen Reisen studiert, und Thuar im Rheinland und im Austausch mit seinem Freund und durch Zeitschriften sich aneignet, weil er wegen seiner Behinderung nicht so mobil war.

Hans Thuar: Blühende Obstbäume (Endenich) – 1911
Privatbesitz / Foto: Museen Stade/Margot Schmidt

Hans Thuar: Messdorf – 1911 (Gemeinfrei)

http://www.sensoli.de/unternehmen/sensoli-geschichte/kuenstlerverwandtschaft/

Hans Thuar: Dorfstraße – 1911 (Privatbesitz)
Foto: Axel Hartmann Fotografie, Köln

Im Mai 1909 erscheinen die Notizen eines Malers „Theoretische Überlegungen von Henri Matisse zur Kunst“, in deutscher Übersetzung in der Zeitschrift Kunst und Künstler.

Die kantige und sehr reduzierte Darstellung der Schatten auf der Straße und ihre Einfassung mit dicken Konturlinien erinnert an die Gestaltungsweise des französischen Künstlers. Ein Großonkel von Elisabeth Macke hatte 1908 ein Gemälde mit einer Straßenansicht von Matisse in einer Pariser Galerie erworben.

Hans Thuar: Rheinische Landschaft (Bahnstrecke) – 1912 (Kunstmuseum Bonn)
Foto: Kunstmuseum Bonn/Reni Hansen

1903 lernt August Macke Elisabeth Gerhardt, die Tochter einer Fabrikantenfamilie, kennen. Er ist 16, sie 15 Jahre alt.  Er verliebt sich in sie und malt sie 1903. Sie wird seine Vertraute und sie heiraten 1909.

Besonders gut gefällt uns das Gemälde Reh in der Berglandschaft, das Hans Thuar 1914 gemalt hat. Dort ist alles in Bewegung, die Landschaft selbst und die zentrale Tierfigur im Vorwärtsgehen rückwärts schauend. Charlotte Thon zeigt uns ein Foto von einem Gemälde mit einem Pferd von Franz Marc, das die gleiche Haltung des Tieres zeigt.

Rechts an der hellen Wand: Hans Thuar: Reh in der Berglandschaft – 1914 (Foto: Karin Hunsinger)

Blick in den Raum mit einem von Hans Thuar gestalteten Teppich, mehreren Gemälden und dem größten Teil unserer Gruppe (Foto: Karin Hunsinger)

Als August Macke im Jahre 1914 gleich zu Beginn des ersten Weltkrieges fällt, trauert Hans Thuar sehr; erst nach 6 Jahren beginnt er wieder zu malen.

1922 malt er das Siebengebirge als eine kubistische Landschaft.  Dieses Gemälde ist geprägt von dem Frühkubismus sowie durch die Kunstauffassung von Paul Cézanne.

Auch Hans Thuar‘s Staffelei ist ausgestellt, die Rollen hat und genügend Platz unter der Staffelei, um mit dem Rollstuhl drunter fahren zu können. Auf dieser Staffelei steht ein Bild von seiner Familie, seine Frau schlägt die Hände vor das Gesicht, ein Kind hat sie auf dem Schoß, zwei weitere kleine Kinder rechts und links hängen an ihren Rockzipfeln, er selbst schaut etwas verdeckt von links in das Bild. Die Familie macht einen ziemlich trostlosen Eindruck, sie waren sicherlich nicht auf Rosen gebettet.

Ein Gemälde mit dem Namen „Ährenfeld“ von 1934 erhielt Thuars Rechtsanwalt Anfang der 1930er Jahre als Bezahlung für ein juristisches Mandat. Er vertrat den Künstler in einem Rechtsstreit gegen die Kölner Straßenbahngesellschaft, von der er seit seinem Unfall 1899 eine Rente erhielt.

Hans Thuar: Pappeln im Sturm – 1943 (Foto: Beate Braun)
Charlotte Thon erklärt die Details

Das Bild ist eines der letzten des Künstlers und spiegelt sein Seelenleben. Er stirbt 1945.

Von Hans Thuar hatte bisher noch keine von uns Teilnehmerinnen etwas gehört, während August Macke sehr bekannt ist, obwohl dieser schon 1914 gefallen ist und wesentlich kürzer gelebt hat. Der Grund liegt darin, dass Mackes Frau Elisabeth immer wieder Bilder zu verschiedenen Ausstellungen zur Verfügung stellte oder auch Ausstellungen selbst kuratierte. Hans Thuar geriet in Vergessenheit.

Dieser Besuch war eine echte Horizonterweiterung.

Nach der Führung sitzen wir noch etwas im Museumscafé-Garten und lassen das Gesehene Revue passieren.

Beate Braun

13.08.2021