Besuch der Ausstellung “Transhuman – von der Prothetik zum Cyborg”

Die Ausstellung wurde anlässlich des 250. Geburtstages von Albrecht Ludwig Berblinger, auch bekannt als „Der Schneider von Ulm“ kuratiert, um nicht nur sein Wirken zu würdigen, sondern vor allem auch die Themen Innovation, Erfindergeist, Mut und offene Stadtgesell­schaft in den Fokus zu stellen.

Für diejenigen, die nicht aus Ulm und Umgebung sind: Albrecht Ludwig Berblinger war ein Waisenjunge, der Schneider lernte, um seinen Unterhalt zu verdienen. Er war ein genialer Erfinder, unter anderem baute er ein Fluggerät, mit dem er 1811 einen gescheiterten Flugversuch über die Donau wagte. Heute weiß man, dass er wegen der Fallwinde kläglich in der Donau landete. Am Ende verstarb er verspottet, krank und arm. Als Erfinder entwickelte u. a. Kinderwagen und die ersten mechanischen Prothesen, die für versehrte Soldaten der napoleonischen Kriege gedacht waren, und erfand somit den Grundentwurf für moderne Beinprothesen.

Ein Wort möchte ich noch erklären: Cyborg (eingedeutscht auch Kyborg) bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine.

Die Ausstellung beinhaltete Gegenstände aus vier Erdteilen, von denen das letzte erst am Tage vor Ausstellungsbeginn eingetroffen ist. Wegen Corona gab es hier ziemliche Probleme.
Trotz Corona-Beschränkungen und stärkster Regengüsse trafen wir uns am 2.August 2020 mit 5 Teilnehmerinnen im Museum Ulm.


Im Foyer des Museums, alle mit Maske.
Foto: Barbara Heinze


Durch die Ausstellung führte uns ein Tandem: die Museums­direktorin, Frau Dr. Stefanie Dathe, und der Orthopäde Herr Dr. Gerd Wieja.


Frau Dr. Stefanie Dathe und Dr. Gerd Wieja – Beginn einer fantastischen Führung.
Foto: Beate Braun


Im ersten Ausstellungsraum sahen wir an der Wand eine Panorama-Grafik, auf der der Flugversuch des Schneiders von Ulm über die Donau dargestellt war. Das, was Dr. Wieja uns im Detail erklärte, war die mechanische Prothese, die Albrecht Ludwig Berblinger entwickelt hatte.


Darstellung des Flugversuches des Schneiders von Ulm, mit der Beinprothese, die er entwickelt hat.
Foto: Barbara Heinze


In der Mitte dieses Raumes waren 10 Beinprothesen vom einfachsten selbst fabrizierten Modell bis zur modernsten Technik aufgehängt. Auf dem Boden befand sich ein Spiegel, sodass wir alles auch noch einmal von einer anderen Perspektive betrachten konnten. Die einfachste Beinprothese, die auf dem Foto etwas versteckt ist, das 2. Ausstellungsstück von vorne gleich hinter dem selbst gebastelten Holzbein, besteht aus mehreren ineinander gesteckten orangen Bechern.


Erster Ausstellungsraum mit den 10 Beinprothesen.
Foto: Beate Braun


An einer anderen Wand war die Entwicklung der Beinprothesen über die Zeit dargestellt: von einfachsten Mechanismen, um das Kniegelenk zu bewegen, bis zur heutigen professionellen Ausführung.

Vor einer Wand im nächsten Raum, auf der „Krüppel“ mit fehlenden Gliedmaßen dargestellt waren, stand die Skulptur des Ulmer Bildhauers Nikolaus Weckmann, die den Heiligen Martin darstellt, wie er den Mantel zerteilt, um die Hälfte dem Bettler zu geben.


Skulptur von Nikolaus Weckmann.
Foto: Beate Braun


Da es sich um eine religiöse Darstellung handelt, ist der Heilige Martin groß dargestellt, während der Bettler klein und verkrüppelt gezeigt wird, ohne Unterschenkel und auf einem Brett kniend.

Ein Highlight der Ausstellung war die Kopie einer Zehenprothese, die man bei einer Mumie gefunden hat und 3000 Jahre alt ist.


Altägyptische Zehenprothese (Holz, Rohleder) mit unvollständig erhaltenem mumifiziertem Fuß aus einem Grab
in Sheikh, Sheikh’Abd el-Qurna (Luxor, Westseite des Nils), frühes bis mittleres 1. Jahrtausend v. Chr., Nationalmuseum für ägyptische Kultur in Kairo (NMEC; JE100016a, zuvor Ägyptisches Museum Kairo), Foto: Universität Basel/Matjaz, Kacicnik (2016). Veröffentlichung dieses Fotos genehmigt durch das Museum Ulm.

In einem etwas abgelegenen Raum sahen wir Bilder von Peter Brueghel der Ältere und Hieronymus Bosch, in denen festgehalten war, unter welchen Bedingungen diejenigen lebten, die Gliedmaßen verloren hatten, wie sie sozial und finanziell gestellt waren, meistens zu Bettlern geworden, angewiesen auf die christliche Nächstenliebe.

Eine künstlerisch gestaltete Prothese ist die Hand des Ritters Götz von Berlichingen (um 1505). Schon damals wurden Prothesen „gestaltet“, wenn Sie auch noch nicht beweglich waren. Diese Prothesen konnten sich jedoch nur besser gestellte Männer leisten als persönliche Marke.

Zurzeit versucht man, bei fehlenden Gliedmaßen nicht nur eine Prothese, sondern einen etwas anderen Ersatz zu schaffen, wie man bei dem Modell unten im Bild sehen kann. Es geht nicht nur um Ersatz, sondern auch um Ästhetik.


Kelly Knox mit künstlerisch gestalteter Prothese des
amputierten Armes.
Foto: Beate Braun


Es gibt doch tatsächlich Modells, die sich absichtlich ihr Bein amputieren lassen, um verschiedene künstlerisch gestaltete Beinprothesen bei einer Modenschau vorzuführen. Eines davon ist Viktoria Modesta. Das ist eine Vorgehensweise, die uns gänzlich unverständlich ist.


Viktoria Modesta mit künstlerisch gestalteter Beinprothese.
Foto: Beate Braun


Gezeigt wurde auch die beinamputierte Läuferin Aimee Mullins, die wie Oscar Pistorius aus Südafrika, Federbein-Prothesen bekam und mit ihrer Behinderung außergewöhnliche Leistungen erbrachte. Diese Läuferin hat nach ihrer sportlichen Karriere später auch als Schauspielerin sowie als Laufsteg- und Fotomodell gearbeitet und hat dafür verschiedenen künstlerisch gestaltete Prothesen verwendet.
Laut Herrn Dr. Wieja haben Läufer mit Federbein-Prothesen einen Vorteil gegenüber nicht behinderten Läufern, da erstens die Federbeine leichter sind als die eigenen und zweitens die Federn dem Körper beim Rennen noch größeren Schwung verleihen.

 
Distraktionsapparat.                                     Distraktionsapparat.
Foto: Barbara Heinze 
                                 Foto: Beate Braun

Mit diesem Gerät (Distraktionsapparat) versucht man, die Wirbelsäule zu begradigen oder aber auch die Körpergröße zu verlängern. Die unteren Schrauben werden in das Becken geschraubt, die oberen in den Kopf. Von Zeit zu Zeit wird dann millimeterweise an den Schrauben gedreht, um eine Begradigung oder Verlängerung zu erreichen.

Ein Teil der Ausstellung wurde zusammen mit der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd ausgeführt. Wir hätten eine Weste ausprobieren können, die Prothesen mittels Gedanken in Bewegung versetzen kann, z. B. eine Armprothese. Solche Entwicklungen gibt es schon.

Weiterhin wurde eine Brille gezeigt, mit der blinde Menschen z. B. Farben oder Gegenstände und sogar Personen angesagt bekommen.


Der Raum „Die Überwindung körperlicher Grenzen“.
Foto: Beate Braun


Im letzten Raum „Überwindung körperlicher Grenzen“ bewunderten wir eine externe künstliche Gebärmutter, in der ein Embryo aufwachsen kann, für den Fall, dass die Mutter entweder gestorben ist oder das Kind nicht austragen kann (links in der Glasvitrine).


Künstliche Gebärmutter
Lena Daur, Lara Laddey, Vie, 2018,
HFG Schwäbisch Gmünd, Bachelorthesis
Veröffentlichung dieses Fotos genehmigt
durch das Museum Ulm.


Aufsetzen der Kappe mit den Elektroden durch Frau Dr. Dathe.
Foto: Barbara Heinze


Hier probierte ich auch eine Kappe aus, die mit Elektroden am Kopf befestigt wurde. Auf dem Bildschirm erschienen 9 Wörter, von dem ich mir eines merken und fest daran denken sollte. Ich hatte das Wort „Glück“ ausgesucht, herauskam das Wort „gut“. Aber Glück hat auch etwas mit gut zu tun. Wenn die Kontakte mit einem Gel angebracht gewesen wären, wäre der Versuch sicherlich zu 100 % richtig verlaufen.

Wir waren von der Ausstellung begeistert und können nur jedem empfehlen, ins Museum Ulm zu gehen und sich die Ausstellung in einer Tandemführung anzuschauen. Die Ausstellung ist bis zum 31.12.2020 zu sehen.

Beate Braun
04. August 2020

Verweise:
https://de.wikipedia.org/wiki/Albrecht_Ludwig_Berblinger
https://museumulm.de/ausstellung/transhuman-von-de-prothetik-zum-cyborg/
https://remszeitung.de/2020/7/22/hochschule-fuer-gestaltung-stellt-aus-ausstellung-transhuman-im-museum-ulm-eroeffnet/
https://www.youtube.com/watch?v=0mcZgZWjY2U